Frauen im Sport

Was sie bewegt

Frauen sind im Sport weniger sichtbar als Männer. Eric Mistler will das mit einem Bildband ändern - und hat für jede olympische und paralympische Disziplin eine Athletin beim Training fotografiert

Frauen beim Sport: Eine kurze Google-Bildersuche zu diesen Schlagworten zeigt die gängigen Klischees. Perfekt ausgeführte Yoga-Posen, langhaarige Joggerinnen, strahlende Athletinnen in Sport-BHs. Alle wirken gut gelaunt, sind perfekt gestylt, ihre Körper schlank und muskulös. Nicht zu sehen ist die Anstrengung, die ihre Verrenkungen, Läufe und Muskelübungen erfordern. 

Eine andere Seite von Frauen in Bewegung zeigt der Fotograf Eric Mistler in seinem neuen Band "Sportives!". Pro olympischer- und paralympischer Disziplin ist eine Protagonistin beim Training zu sehen. Doch es geht auf den Bildern nicht um Erfolge oder Medaillen, sondern um den Sport selbst. Beim Durchblättern des Buches schwingt der Gedanke mit, dass Profi-Athletinnen gegenüber Männern weniger beachtet werden. Letztere verdienen besser, bekommen mehr TV-Zeit und gelten für die Öffentlichkeit als interessanter. Umso ungewöhnlicher ist der Anblick von Frauen jeglicher Altersstufen beim Training.

Da sind zum Beispiel Selma, die boxt, Morgane, die Wasser-Polo spielt und Karine, die sich auf den 5000-Meter-Lauf spezialisiert hat. Mehr als ihre Namen und ihre Disziplin erfahren wir nicht über die gezeigten Personen. Wie lange oder professionell sie trainieren oder wie alt sie sind, bleibt offen. Lediglich die Namen der Vereine, in denen sie ihre Sportarten ausüben, werden im Bildregister noch einmal aufgeführt. 

Blick durchs Sporthallenfenster

Die Informationen reduzieren sich auf jeweils ein oder zwei Bilder. In Schwarz-Weiß sind die Frauen dabei zu sehen, wie sie Gewichte stemmen, springen, Bälle schlagen. Das erinnert an Dokumentarfotografie aus den 1960er-Jahren. Einige Motive wirken wie Schnappschüsse und lassen die Bewegungen der Frauen einfrieren, während sie in der Luft sind und ihre Muskeln unter Hochspannung stehen. Doch es gibt auch solche, auf denen gezielt posiert wird. Einige Protagonistinnen lächeln direkt in die Kamera, mal mitten in einer Bewegung, mal ganz ruhig, als würden sie sich in diesen Momenten vor der Kamera ausruhen.

Dass der Blick auf Frauen und ihre Körper durch den sogenannten male gaze geprägt ist, wird bereits seit einigen Jahrzehnten diskutiert. Das betrifft auch die Darstellung beim Sport. Statt schwitzend werden sie sexy gezeigt, von Magazinen wie der "Sports Illustrated" oder der "Women's Health" strahlen Models in Sport-BHs und Bikinis herab. 

Die Fotografien von Eric Mistler hingegen erinnern oftmals an den Blick durch ein Turnhallenfenster auf dem Heimweg. Man schaut beiläufig hinein und sieht, mit welcher Hingabe sich unterschiedliche Menschen einer Sportart widmen, ohne dass sie damit Rekorde brechen oder öffentliche Anerkennung bekommen würden. Diese Form des Trainings ist viel näher am Alltag der meisten als die auf Hochglanz polierten Fotoshop-Bilder von Frauen in Workout-Klamotten.

Kontrolle über Körper

Damit kreiert Eric Mistler eine Ästhetik der Sportfotografie, die eigentlich nicht neu ist – aber trotzdem ungewohnt wirkt. Die Frauen, die er für die Shootings gewählt hat, haben alle Altersstufen und Herkünfte, trainieren mit und ohne Behinderung. Dabei erscheinen sie diszipliniert, manchmal verbissen, manchmal spielerisch. Der Fokus liegt auf den Bewegungen und dem Ausdruck, nicht auf der Leistung. Die Athletinnen haben die Kontrolle über ihre Körper und nun die Möglichkeit, sich selbstbestimmt zu zeigen.

Eric Mistler, der ursprünglich als Film- und Videoproduzent arbeitete, hat sich seit 2017 den statischen Bildern zugewendet. Für sein erstes größeres Projekt "Paris Buenos Aires" fotografierte er in den beiden Hauptstädten seiner Heimatländer Argentinien und Frankreich auf der Straße. Die Aufnahmen entstanden ungeplant und ungestellt. 

Seine Erfahrungen aus der Street-Photography kommen Mistler in "Sportives!" zu Gute. Es gelingt ihm, viele der Sportlerinnen in Momenten einzufangen, die wirken, als sei er ein einfacher Beobachter. Auch die Machart des Buchs erinnert an Spontaneität, obwohl Eric Mistler im Vorhinein Anfragen an hunderte Vereine in Frankreich geschrieben hat, wie er im Vorwort erzählt. Die Frauen zeigen ihre Gesichter und werden im Jahr der Sommerspiele von Paris zu Botschafterinnen ihre Disziplinen. Bis auf ihre Namen bleibt der Rest ihrer Personen jedoch unbekannt. Auch das ist ein Teil der Geschichte von Frauen im Sport.