Medienschau

"Eine Biennale, die eine Sprache der Zuversicht spricht, aber in Wirklichkeit in Angst getränkt ist"

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Neuer möglicher Erbberechtigter kurz vor Klimt-Versteigerung aufgetaucht, Trauer um Galerist Daniel Marzona und die "New York Times" rechnet mit der Venedig-Biennale ab: Das ist unsere Presseschau am Donnerstag

Venedig-Biennale

"Wir verlieren das Vertrauen in so viele Institutionen der Kultur und Gesellschaft - das Museum, den Markt und, besonders in dieser Woche, die Universität -, können uns aber keinen Ausweg aus ihnen vorstellen", stellt Jason Farago in seinem fulminanten Verriss der Hauptausstellung der Venedig-Biennale für die "New York Times" fest. "Wir werfen mit Ziegeln, die wir nur schwer oder gar nicht legen können. Wir protestieren unaufhörlich, scheinen aber nicht in der Lage zu sein, diesen Protest in etwas Konkretes zu kanalisieren." Die 60. Venedig-Biennale "ist oft belehrend, aber das ist nicht ihr größtes Problem. Das eigentliche Problem besteht darin, wie sie talentierte Künstler - und davon gibt es viele unter den mehr als 300 Teilnehmern - zu Alibifiguren macht, sie essenzialisiert, minimiert und in Schubladen steckt, deren Arbeiten auf Slogans und Lektionen reduziert wurden, die so klar sind, dass sie in den Screenshot eines Kurators passen könnten. Dies ist eine Biennale, die die Sprache der Zuversicht spricht, aber in Wirklichkeit von Angst getränkt ist und zu oft darauf zurückgreift." Besonders deutlich wird das für Farago in den von Kurator Adriano Pedrosa so genannten nucleo storico, den historischen Exkursionen in die Kunst des globalen Südens: "Sie dachten, wir wären alle gleich? Hier haben Sie die Logik des ethnologischen Museums alten Stils, übertragen von der Kolonialausstellung auf die Google-Bilder-Ergebnisseite. S.H. Raza aus Indien, Saloua Raouda Choucair aus dem Libanon, die kubanische Amerikanerin Carmen Herrera und auch Maler, die mir neu waren, wurden auf so viel Tapete des globalen Südens reduziert und von den Besuchern entsprechend fotografiert. All das zeigt, dass es viel zu einfach ist, die exkulpierende Sprache der Kunst zu sprechen, sich auf "Opazität" oder "Flüchtigkeit" zu berufen oder was auch immer das heutige dekoloniale Schibboleth sein mag. Aber indem man etwa 95 Prozent der Menschheit zu anderen macht - indem man so gut wie alle Menschen auf der Erde als "Fremde" bezeichnet und sie mit selbstklebenden Etiketten in Kategorien einteilt - tut man in Wirklichkeit genau das, was die schrecklichen Europäer vor einem getan haben: man exotisiert."

Kunstmarkt

Eine überraschende Wendung bei der Versteigerung des lang verschollenen Klimt-Gemäldes "Fräulein Lieser" beschreibt Johanna Adorján in der "SZ": "Kurz bevor am Mittwochabend um 17 Uhr in Wien das Klimt-Gemälde "Fräulein Lieser" versteigert wurde, ist etwas geschehen, das der Geschichte noch einmal eine neue Wendung geben könnte. Es ist ein neuer möglicher Erbberechtigter aufgetaucht, der bislang nicht kontaktiert wurde. Erst einen Tag vor der Auktion erfuhr er durch einen Artikel dieser Zeitung von dem Gemälde und der geplanten Versteigerung." Das Bild wurde schließlich für 30 Millionen Euro versteigert. "Um Stellungnahme gebeten, teilte das Auktionshaus im Kinsky mit, die Auktion finde wie geplant statt. Sollte tatsächlich ein Berechtigter irrtümlich nicht berücksichtigt worden sein, würden sich die Parteien damit selbstverständlich nach der Auktion auseinandersetzen, um eine 'faire Lösung' zu finden."

Monopol wird 20, und auch die Künstlerinnen und Künstler gratulieren – mit Kunst. Zum Jubiläum erscheint eine Serie von ausgesuchten Editionen, exklusiv für Monopol-Leserinnen und -Leser. 

Mit Arbeiten international bekannter Namen und Neuentdeckungen lockt das Gallery Weekend Berlin in den kommenden Tagen in die Hauptstadt. An der 20. Ausgabe des 2005 von einer privaten Initiative gegründeten Kunstspektakels beteiligen sich in diesem Jahr 55 Galerien im gesamten Stadtgebiet.  Viele der Präsentationen an insgesamt 69 Standorten sind auch nach dem von Freitag bis Sonntag dauernden Gallery Weekend zu sehen. Mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler können dabei entdeckt werden. Barbara Wiegand gibt auf RBB Radio3 einen Vorausblick. 

Nachruf

Ingeborg Ruthe schreibt in der "Berliner Zeitung" den Nachruf auf den im Alter von 55 Jahren verstorbenen Berliner Galeristen Daniel Marzona: "Seine 2014 in der Friedrichstraße eröffnete, seit der Corona-Pandemie erst in der Marienstraße, dann in der Rüsternallee ansässige, zumeist online arbeitende Galerie war vor allem Anlaufpunkt für Liebhaber der Concept und Minimal Art, ergo für die moderne Kunst der Reduktion, der Strenge, des Nichtlukullischen und Nichterzählerischen." In der "Welt" schreibt Gesine Borcherdt: "Er war einer von denen, mit denen man stundenlang vor einer Skulptur aus zwei einander zärtlich berührenden Holzbalken stehen konnte. Wenn Daniel Marzona an seiner Zigarette zog, verschmitzt lächelte und einem das Gefühl gab, genau zuzuhören, war es, als stünde die Zeit still – als gäbe es diesen überdrehten Kunstmarkt nicht, den er nie mochte."

Bildhauerei

Georg Imdahl empört sich in der "FAZ" darüber, dass die Stadt Paderborn mit Werbetafeln den Blick auf eine Skulptur von Wilfried Hagebölling verdeckt. "'Plakat sieht jeder', steht nun fast provokativ auf dem großen Reklamepylon, der im vorigen Jahr so dicht an der Skulptur Hageböllings aufgestellt wurde, dass er eine Schauseite praktisch unsichtbar macht. Die Tafel erhebt sich auf einer trapezförmigen Fläche, die, wie der Bildhauer formuliert, als 'ruhige Zone aus der angrenzenden modellierten Begrünung ausgespart ist', um Passantinnen und Passanten ein anderes, 'neues Raumerlebnis im Stadtraum' zu ermöglichen. Vor Ort wird unmittelbar ersichtlich: Das Bodentrapez gehört zum künstlerischen Entwurf. Niemand im Straßenbau würde innerhalb eines solchen Umrisses Platten verlegen."

Architektur 

Der Berliner Schriftsteller Friedrich Dieckmann behauptet in einem "FAZ"-Gastbeitrag ernsthaft, es habe zum Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses keine Alternative gegeben. "Man gehe in die Berliner Axel-Springer-Straße und sehe sich diesen sinnstiftenden Quader an, einen riesigen schwarzverglasten Kasten, in dessen Seiten der Blitz eingeschlagen hat, in Gestalt großer spitziger Zerklüftungen, und man wird begreifen, dass es zur Wiederherstellung des Schlüter-Eosander-Baus keine sinnvolle Alternative gab – erst recht nicht, nachdem die scheidende Regierung Kohl 1998 über den DDR-Palast eine asbestbegründete Totalsanierung verhängt hatte. Sie versetzte diesen Großbau unvermeidlich in den Zustand einer Rohbauruine."