Damien Hirsts Datum-Schwindel

Tricksen, aber in schlecht

Damien Hirst hat neuere Formaldehyd-Skulpturen als Arbeiten aus den 90ern ausgegeben, offenbar um ihren Wert zu steigern. Das passt zu einem Künstler, der ohnehin in der Zeitschleife festhängt

Von Loki über Till Eulenspiegel und Mephisto bis zu Maurizio Cattelan: Der Trickster tanzt durch die Geschichte und macht sich über ihren Lauf lustig. Der Psychoanalytiker C. G. Jung beschrieb diese wiederkehrende mythologische Figur als ein "kosmisches Urwesen", das die Normen, Erwartungen und kümmerlichen Hoffnungen der Menschen verhöhnt – und damit erst sichtbar macht.

So ein Trickster war einmal Damien Hirst. Das ist lange vorbei. 

Vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass der britische Künstler zwei 2017 entstandene Formaldehyd-Tierskulpturen als Arbeiten aus den 1990er-Jahren ausgeben hat. Das haben Whistleblower dem "Guardian" verraten. Auch sollen die Vitrinen mit künstlichen Altersspuren versehen worden sein. Eines der Werke - ein dreiteiliger Hai mit dem Titel "Myth Explored, Explained, Exploded" - ist zurzeit im Münchner MUCA ausgestellt. Hirst redet sich jetzt heraus, dass es bei dem Entstehungsdatum nicht um die Produktion der Arbeit gehe, sondern um die Idee. Es handele sich schließlich um Konzeptkunst. Und die Idee, die stamme nun einmal aus den 1990ern.

1992 hängte der ambitionierte Kunsthochschulabsolvent Damien Hirst einen Tigerhai in Vitrinen voller Formaldehyd und zeigte die nun "The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living" getaufte Arbeit in der Galerie des Werbers Charles Saatchi. Hirsts Hai wurde eine Ikone der losen Bewegung der Young British Artists und ihm folgten weitere Vitrinenarbeiten mit Kälbern, Schafen und Fischen. Der damals 26-jährige Mephistoles hatte mit seinem eingelegten Raubfisch ein Symbol für die Aggressivität einer neuen Generation geschaffen, die schamlos Sex, Geld und Sensationslust mit Kunst zusammenbrachte und damit die kleinbürgerliche Heuchelei aufs Korn nahm, hinter der die Trickster seit jeher Lüsternheit und Sensationslust vermuten. 

Vom Trickster zum Trickser

Vom eulenspiegelhaften Hohn des Tricksters ist beim mittlerweile 58-jährigen Hirst nicht viel übrig geblieben, stattdessen entpuppt er sich als schnöder Trickser, dem es nur um seinen Vorteil geht. Denn welche andere Idee steht hinter seinem Datumsschwindel, als den Wert dieser Arbeiten zu erhöhen, indem man sie zurückdatiert in eine glorreiche Zeit? Es fällt schwer, sich bei Hirst noch ein anderes Motiv vorzustellen.

Nicht erst diese Selbstfälschung machte ihn schließlich zum Taschenspieler. Der Wechsel aus Wiedererkennbarkeit in Serie (wie bei den Formaldehyd-Virtinen oder Spot-, Spin- und Butterfly-Paintings) auf der einen Seite und überraschender Marktaktionen (wie dem Verkauf von Kunst an der Galerie vorbei oder dem Verbrennen eigener Kunstwerke) auf der anderen Seite geht nun schon lange, dass man eigentlich nur noch von einer wohlkalkulierten Masche sprechen kann. 

Damien Hirst wirkt mittlerweile selbst wie eines seiner Tierpräperate: für immer konserviert in verzweifelter, tragischer Zeitlosigkeit. Er kleidet sich wie ein Lad, färbt sich die verbleibenden Haare blau, ist mit einer 28 Jahre jüngeren Frau zusammen, die einer 25 Jahre jüngeren Freundin folgte, und wenn er tatsächlich einmal neue Serien startet wie die "Spring Blossoms Blooming"-Reihe oder die jüngsten Seestücke, dann bleibt das so konventionell wie Bilder aus einer chinesischen Malfabrik.

Was wäre ein würdiges Alterswerk? 

Dieser Hang zur Serialität entwertet das Original, und dieser Fetisch darf auch gerne angekratzt werden. Auch der Ur-Hai aus "The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living" musste 2006 gegen eine Artgenossin ausgetauscht werden. Ist es noch dasselbe Kunstwerk? Zwei Jahre später schuf Damien Hirst eine nahezu identische Arbeit mit dem Titel "Death Denied". Die Zeit ist angehalten, der Tod verleugnet. Aber die jetzt aufgedeckten Fälle haben mit diesen konzeptuellen, werkphilosophischen Fragen nichts zu tun, sondern zielen mutmaßlich auf den Kunstmarkt. Dort ist eine Datierung auf das Jahr, an dem das Werk konzipiert wurde zwar üblich – aber nur mit Angabe des tatsächlichen Entstehungsjahres.

Es ist nicht einfach, älter zu werden und sich immer wieder neu zu erfinden – gerade wenn man sich selbst als Rebell sieht. Abgehalfterte Rockmusiker verkaufen ihr Gesamtwerk an Kulturindustrie-Konzerne, nehmen Podcasts auf, malen oder gehen nochmal mit alten Alben auf Tour. Alles legitim, ja, es kann sogar anrührend sein. Was wäre die Akustikversion von Damien Hirst? Was ein würdiges Alterswerk? Es muss auch für einen solchen Hallodri einen Weg geben. Sich selbst als ewigen Berufsjugendlichen zu inszenieren und dann heimlich die eigenen Fans verarschen, das ist es nicht.